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Die Weinlese-Premiere

Kleinfischlingen  |  18. September 2021

 

Ein Tag im "gutvonbeiden"

 

Mittlerweile bin ich in dem Alter, wo man die Dinge tut, die man immer schon einmal erleben wollte. Da kommt die Nachricht des Weinguts gutvonbeiden genau richtig: Wir suchen wieder freudige Helfer/innen für den Samstag, an dem die Handlese stattfindet. Wir beginnen kurz vor 9 Uhr im Weingut. Für das leibliche Wohl ist gesorgt, die Mittgaspause wird in den Weinbergen stattfinden. Ein befreundeter Fotograf wird vor Ort sein. Ihr solltet einverstanden sein, dass ihr abgelichtet werdet und natürlich Freude bei der Arbeit zeigen “. Gelesen, ein Blick in den Kalender, angemeldet. Yeah.

Am Handlesesamstag treffe ich kurz vor 9 Uhr in Kleinfischlingen ein. Gemeinsam mit einer weiteren jungen Helferin, die sich als Laura vorstellt und eine Großcousine oder so ähnlich zu Philipp ist. Sofort ist die südpfälzische Art des fröhlichen miteinander Plauderns und aufeinander Zugehens da. Die Chemie stimmt.

Der Porsche steht im "gutvonbeiden" bereit

Als wir den Hof des Weinguts betreten, lacht das Herz das erste Mal für diesen Tag. Ein knallroter Porsche-Traktor mit „Schoppeanhänger“ strahlt uns an. Eine größere Gruppe hat sich im Hof versammelt, es ist ein freundliches Hallo, die meisten kennen sich, gehören zur Familie oder zum Freundeskreis von Philipp Müller und Jochen Laqué, den beiden Inhabern des 2013 gegründeten Weinguts „gutvonbeiden“.

 

Dann geht´s los. Ich habe das Glück, mit dem „Schoppeanhänger“ und dem Porsche mitfahren zu dürfen. „Schoppeanhänger“ nenne ich gerne die Planwagen, auf denen zwei Bänke und dazwischen ein Tisch montiert sind und in dem Tisch kleine Vertiefungen gebohrt sind, in denen man während der Fahrt das „Schoppeglas“ sicher abstellen kann.  Wir zuckeln geschätzt eine viertel Stunde durch die Weinberge.

Die ganze Familie ist mit dabei

Selbstverständlich ist bei der Weinlese die gesamte Familie an Bord. Die Kinder, alle etwa im Kindergarten- und Grundschulalter, haben höllischen Spaß dabei, die Stimmung ist gut, das Wetter kaiserlich.

 

Nachdenklich macht mich allerdings, dass viele der Helferinnen und Helfer Gummistiefel in der Hand haben. Ich frage nach und es heißt, das Gras und die Pflanzen zwischen den Reben werden heute Morgen noch nass sein. Klar, denke ich, wir sind ja in einem Bioland-Weingut. Da sind die Pfade zwischen den Rebstöcken nicht mit Steinen oder ähnlichem befestigt, sondern naturbelassen oder sogar absichtlich begrünt. Ich bin gespannt, ob meine Wander-Halbschuhe das schaffen.

 

Die Theorie

Gespanntes Zuhören bei der Einführung

Es folgt die Einführung. Philipp: „Also, es gibt ään Pilz, den mir nit hawwe wolle, der sieht aus, wie man´s von Lebensmittel kennt, der hat halt so ään graue Pilzrasen. Und do missen ehr a net lang rumpfrimmele. Ist der Pilz net so groß und am unnere Stick, schneiden ehr die Traube in der Mitte durch und lassen des äände Stick ääfach uff de Bode falle“.

Jochen kommt von der Seite dazu und hält eine schmächtige Traube – in der Nordpfalz würde man Traubenklotz sagen - in der Hand, bei dem die Beeren wie feste, grün polierte Erbsen aussehen. „So was tun mir auch nett ernte, die sinn noch nett reif oder sie sind abgestorbe“.

Philipp erzählt weiter: „Ihr siehn, die, die schä goldgelb gefärbt sinn, das sinn im Prinzip die Traube, die wir hawwe wolle. Do sieht man es ganz schä, die Beere uff de Sonneseit sind rötlich gelb, unn weiter hinne mit weniger Sonne sind sie halt grüner. Das ist halt so.“

Noch Fragen? Ja, melde ich mich, welche Traubensorte ernten wir heute eigentlich? Sauvignac, klärt Philipp auf. Das ist eine neue, pilzresistente Rebenzüchtung, die das gutvonbeiden erst seit zwei Jahren anbaut.

„Ach so, unn wonn de Äämer voll iss, rufen ihr ääfach laut Ääääämer! Dann wird er abgeholt und ihr kriehn än neie Äämer.“

Das war also der Theorieteil zum Weintraubenerntehelfer. Heute gelten daher mal wieder die wichtigsten Grundsätze einer erfolgreichen Karriere: Erstens: Lernen durch Beobachten, Zweitens: Learning bei doing!

Einfach machen!

Alle um uns herum strömen los. Laura und ich stehen noch ein wenig unsicher herum. „Wir ernten die ersten sieben Reihen“, wirft Philipps Partnerin Christina in die Runde. Eine nicht unerhebliche Information, denke ich. Ich schnappe mir den zweitletzten schwarzen Zwanzigliter-Eimer und eine rote schmale Rebenschere aus einer Holzkiste.

 

Die Handleserinnen und Handleser haben sich querbeet in den sieben Rebenreihen verteilt. Da es keine Ansage und keine Mannschaftsaufstellung gibt, entscheide ich mich für die Reihe sechs, in der nur zwei weitere Erntende aktiv sind. Eine Reihe ist etwa 150 Meter lang.

 

Obwohl es weiße Beeren sind, heben sie sich durch ihre gesunde, leicht ins Rötliche schimmernde Farbe gut vom Blätterwerk ab. Also, Jürgen, es geht ums Trauben ernten, das heißt: Dort hingehen, wo Trauben hängen, abschneiden und in den Eimer, bis er voll ist. Das schaffst du auch ohne Bachelor.

 

Sehen, was man tut

Mit Freude mache ich mich ans Werk. Ich mag Arbeiten, bei denen man sieht, was man geleistet hat. Der Eimer füllt sich. Allerdings ist das Abschneiden gar nicht so einfach. Oft ist der Stängel verdeckt oder der Traubenklotz ist so fest um den Stängel gewachsen, dass man mit der Schere zuerst gar nicht rankommt. Eine besondere Herausforderung sind die Traubenklötze, die sich um den festen Draht winden, der die Rebstöcke stützt. Da muss ich den Klotz schon mal filetieren und stückchenweise schneiden. Dabei rinnt der Traubensaft über die Hände, alles wird „babbisch“, wie der Pfälzer sagt. Das kommt auch davon, dass wir sorgfältig die faulen oder dörren Trauben von den Klötzen entfernen. Nur das gesunde Lesegut kommt in den Eimer, so war die Vorgabe des Chefs. Das ist Handarbeit, die Spaß macht.

Laura hat sich schnell eingearbeitet

Laura hat sich schnell eingearbeitet. Schon bald tönt es durch alle Reihen „Äääämer“. Die Eimer sind im Minutentakt gefüllt. Irgendeiner von uns hat immer gerade voll. Zwei Männer fahren mit dem kleinen Traktor und dem Erntekipper zwischen Reihe 3 und 4 im Tempo der Helfer mit. Die vollen Eimer werden durch die Rebenstöcke und zwischen dem Draht weitergereicht, leere Eimer fliegen zurück. Zur Steigerung der Motivation sind auch Zehnlitereimer vorhanden. Die sind schneller gefüllt und geben dir ein gutes Akkordgefühl.

Die Eimer sind schnell gefüllt

Und wie das so ist: Wenn viel Hände zupacken, sind die Eimer schnell gefüllt.           

 

Eine Frage beschäftigt mich allerdings als Erntehelfer-Azubi. Schneide ich nur die Trauben auf meiner Seite ab oder greife ich auch durch den Draht auf die andere Seite und schnipple dort weiter? Lernen durch Fragen: Ich knie mich zu einer erfahrenen Frau, die auf der gegenüberliegenden Seite am Schneiden ist, und frage, ob ich auf meiner Seite rangehen soll oder ob sie rundum an Alles rankommt. „Ich kumm gonz drumherum, kä Problem“. Damit ist die Frage geklärt.

Auch ich schaffe mich schnell rein und achte auf die guten Trauben

Bei der Traubenlese bin ich konzentriert bei der Sache. Was ich bis zum Ende des Tages nicht abschließend geregelt kriege ist, ob ich bei einem Helfer, der gerade am Schneiden ist, an den nächsten Rebstock aufschließen soll oder ob ich zwei, drei Meter weiter anfange und dem Helfer oder der Helferin das Revier der nächsten ein bis zwei Rebstöcke überlasse. Ich gehe meist ein paar Meter weiter und komme so ohne Widerspruch über die Runden.

 

PR von der ersten Traube an

Es geht flott voran. Chris, der Fotograf, ist fleißig unterwegs, hält die Arbeit im Weinberg fest. Es gibt Sondershootings mit Philipp und Jochen, mit kleinen Gruppen bis hin zum Dreigenerationenfoto. Das ist Weinlese 4.0. Die Vermarktung des Winzers beginnt bereits bei der Ernte. Die Kunden werden auf dem Laufenden gehalten, was gerade im Weingut passiert, das Interesse an der neuen Ernte wird geweckt und so eine feste Kundenbindung aufgebaut.

 

Meinen Fotoapparat habe ich zwar umhängen, doch er kommt nur selten zum Einsatz. Schließlich bin ich ja zum Trauben lesen da. Auch wenn ständig geredet, geflachst, gelacht wird, die Kinder zur Beschäftigung in das Geschehen eingebunden oder kurze Arbeitsanweisungen gegeben werden, sind alle mit Eifer und konzentriert bei der Arbeit. Es geht voran in dem Wingert. Nach etwa eineinhalb Stunden ist der Kipper voll und muss nun zum Weingut gefahren und geleert werden. Das heißt: Pause! Denn die gefüllten Eimer können ja nicht mehr ausgekippt werden.

 

Pause

Weder der Rücken noch die Beine tun mir weh. Bei dem herrlichen Wetter empfinde ich die Weinlese bisher in keinster Weise anstrengend.

Jürgen und Laura beim Pausengespräch

Beim Gang zurück zur Basisstation tausche ich mich mit Laura über unsere ersten Erfahrungen im Wingert aus. Die Handlesehelfer nutzen die Halbzeit zum Händewaschen und Plaudern. Oder zum Trinken, so wie David, der den erfrischenden Rieslingschorle sichtlich genießt.

David genießt die Pausen-Schorle

Christina hat die Idee, alle in eine Reihe zu stellen und nur die schmutzigen Arbeitsschuhe zu knipsen. Fotograf Chris versteht die Idee, platziert uns passend und das Gute: Wir müssen bei dem Foto nicht einmal lächeln.

Laura als Porschefahrerin

Ich frage Laura, ob sie Lust hat, ein paar Bilder am roten Porsche zu machen. Ja klar, die ist dabei. So machen Chris, Laura und ich ein spontanes Fotoshooting, bei dem Laura die „Porsche-Fahrerin“ modelt. Denn es dauert eine ganze Weile, bis der Traktor mit dem Kipper wieder in den Wingert zurückkehrt.

 

Zweite Runde

Auf in die zweite Halbzeit, die Reihen 8 bis 14 sind nun dran. Irgendjemand fragt nach Sonnencreme, die Sonne zeigt sich wahrhaftig von der allerbesten Seite. Wie im Flug vergeht die Zeit, das Helferteam schneidet sich wieselflink durch die Rebstöcke und nach insgesamt dreieinhalb Stunden sind wir fertig. Hey, das ging super schnell.

Stolze Erntehelferinnen und Erntehelfer

Der Kipper ist zum zweiten Mal gefüllt. Nele, Selina, David und Sebastian sind stolz auf die Ausbeute der zweiten Halbzeit.

 

Wir treffen uns an den Fahrzeugen, manche ziehen sich um, noch eine Rieslingschorle und die dritte Halbzeit kann kommen. Diese findet am Fuße des Hochstadter Winzerturms statt, mitten in den Weinbergen mit Blick auf die leider leicht eingetrübte Haardt.

 

Meine Wander-Halbschuhe und Socken sind natürlich völlig nass, der untere Teil der Hose ebenso. Mangels Alternativen ist es halt so. Das nächste Mal habe ich auch zusätzliche Socken und trockene Schuhe im Gepäck. Learning bei doing halt.

 

Da wir nicht alle in die Autos und auf den Planwagen passen, bieten wir an, zu dem Vesperplatz zu laufen. Gemeinsam mit Sebastian und Selina aus Saarbrücken sowie David und Nele spaziere ich los. Wir nutzen die Zeit zu netten Gesprächen. Die beiden sympathischen Saarländer verraten mir, dass der Kontakt zum gutvonbeiden und auch der heutige Tag ihre Sicht auf die Pfalz tatsächlich verändert haben. Nicht nur die Landschaft sei wunderschön und die Luft so angenehm frisch, nein, die Menschen hier seinen ja ganz anders wie sie es bisher durch die vielen Pfälzerwitze gedacht hätten. David erzählt, wie er Philipp kennengelernt hat und wie daraus eine enge Freundschaft mit regelmäßigen Treffen entstanden ist.

 

Die große Vespertafel mit Blick auf die Haardt

Vespertafel am Winzerturm

Vor dem Winzerturm sind drei Festzeltgarnituren aufgestellt, mehrere Platten mit Hausmacher Wurst, Käse, Gurken und Gemüseschnitten sind darauf verteilt. An Wein und Wasser mangelt es beileibe nicht. Es geht völlig locker und legér zu. Gerne lasse ich den anderen den Vortritt am „Büfett“, gönne mir derweil eine schöne kühle Weinschorle im stilvollen großen Weinglas. Das ist die schönste Belohnung. Dann fülle ich mir einen Vesperteller und entscheide mich für das klassische pfälzische Leberwurstbrot mit Senf und Gewürzgurke. Da die Plätze an den Tischen aktuell belegt sind, lasse ich mich auf den Rasen hinab sinken, lehne mich an die Turmmauer an und speise so sehr rustikal in den Weinbergen. Herrlich!

Blick vom Winzerturm auf die Vespertafel

Auch von oben vom Turm herab gesehen ergibt die Gruppenvesper ein schönes Motiv. Als ich den Teller nachfülle, werde ich an Tisch drei gerufen, ich soll mich doch dazu setzen. Man unterhält sich wie mit alten Bekannten, gehört zur Weinlesertruppe einfach dazu. Natürlich freuen wir uns alle auf den Nachtisch. Ich hole den Rotweinkuchen von Oma Karin an den Tisch. Er findet viele begeisterte Abnehmer, erinnert uns an früher, und rundet die Vesperzeit wunderbar ab.

Günter, Kuno und Laura

Wie Günter, Kuno und Laura genießen wir alle die gesellige Stimmung. Nach zwei Stunden ist allgemeiner Aufbruch. Wie vorhin an den Rebstöcken läuft es auch jetzt Hand in Hand. In wenigen Minuten ist alles ab- und aufgeräumt und im kleinen Lieferwagen verstaut. Mit dem „Schoppeanhänger“ geht es zurück zum Auto.

Jochen und Philipp

Jochen (am Steuer) und Philipp sind zufrieden mit der Qualität der Beeren und der geleisteten Arbeit des Handleseteams. Für sie ist der Tag aber noch lange nicht vorbei, denn das Lesegut muss ja nun zu Hause frisch weiterverarbeitet werden.

 

Mein persönliches Fazit:

 

„Es war ein beeindruckendes „Event“, bei dem Familie und Kunden, Arbeit und Spaß, Natur und Weinstraße, Erfahrung und Erkenntnisgewinn, das Feeling einer positiven Gruppendynamik zusammengetroffen sind. Du fühlst dich als Teil eines natürlichen Prozesses, dessen Ergebnis du ein Jahr später im WeingIas genießen wirst. Ich kann es jedem Wein- und Pfalzliebhaber nur empfehlen, sich einmal einer Weinlese anzuschließen. Bei der nächsten „Handlese“ bin ich gerne wieder dabei.“

 

Text: Jürgen Cronauer   Fotos: Christian Maggio (4), Kuno Müller (2), Jürgen Cronauer (8)